Zusammenfassung von BGer-Urteil 9C_484/2024 vom 2. September 2025

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Sehr geehrte Damen und Herren,

nachfolgend finden Sie eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 9C_484/2024 vom 2. September 2025:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 9C_484/2024 vom 2. September 2025

1. Einleitung und Sachverhalt

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts befasst sich mit einer Beschwerde der Pensionskasse A._ (Beschwerdeführerin) gegen ein Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt. Streitig war der Anspruch des Versicherten B._ (Beschwerdegegner), geboren 1983, auf eine Invalidenrente aus beruflicher Vorsorge. Der Beschwerdegegner war vom 1. Juni 2019 (zunächst als Leiharbeiter) und anschliessend vom 1. Juli bis 30. November 2019 (als Produktionsspezialist) bei der C.__ AG angestellt und in dieser Zeit bei der Beschwerdeführerin versichert. Sein letzter tatsächlicher Arbeitstag war der 2. September 2019. Ab dem 1. September 2020 bezog er eine ganze, ab dem 1. September 2021 eine halbe Rente der Invalidenversicherung (IV). Die Pensionskasse verneinte den Anspruch auf eine berufliche Invalidenrente, woraufhin der Beschwerdegegner Klage einreichte. Das kantonale Sozialversicherungsgericht hiess die Klage gut und verpflichtete die Pensionskasse zur Ausrichtung einer halben Rente ab dem 2. September 2021 sowie zur Weiterführung seines Alterskontos ab dem 1. September 2020. Die Beschwerdeführerin beantragte vor Bundesgericht die Aufhebung dieses Urteils und die Abweisung der Klage.

2. Streitpunkt

Die zentrale Rechtsfrage, die das Bundesgericht zu prüfen hatte, war, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie die Beschwerdeführerin zur Ausrichtung einer Invalidenrente verpflichtete. Im Kern ging es um den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, und die damit verbundene Leistungszuständigkeit der beruflichen Vorsorgeeinrichtung gemäss Art. 23 lit. a BVG.

3. Rechtliche Grundlagen und Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht legte zunächst die massgebenden Grundsätze der beruflichen Vorsorge dar:

  • Leistungszuständigkeit (Art. 23 lit. a BVG): Gemäss Art. 23 lit. a BVG schuldet die Vorsorgeeinrichtung Invalidenleistungen, bei der die versicherte Person zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, versichert war. Dies erfordert eine erhebliche und dauerhafte Einbusse des funktionellen Leistungsvermögens im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich von mindestens 20 % (BGE 144 V 58 E. 4.4).
  • Enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang: Ein Anspruch auf Invalidenleistungen setzt einen engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der während des Vorsorgeverhältnisses (inklusive Nachdeckungsfrist nach Art. 10 Abs. 3 BVG) bestehenden Arbeitsunfähigkeit und der allenfalls erst später eingetretenen Invalidität voraus (BGE 134 V 20 E. 3.2).
    • Sachlicher Konnex: Dieser ist gegeben, wenn der Gesundheitsschaden, der zur Arbeitsunfähigkeit führte, im Wesentlichen derselbe ist wie derjenige, der der Erwerbsunfähigkeit zugrunde liegt.
    • Zeitlicher Konnex: Eine Unterbrechung des zeitlichen Konnexes wird (grundsätzlich) angenommen, wenn die versicherte Person nach Eintritt der massgeblichen Arbeitsunfähigkeit während mehr als dreier Monate wieder über 80 % arbeitsfähig war in einer angepassten Erwerbstätigkeit und dabei ein rentenausschliessendes Einkommen bezogen werden konnte (BGE 134 V 20 E. 5.3). Der zeitliche Zusammenhang kann aber auch bei einer länger als drei Monate dauernden Tätigkeit gewahrt bleiben, wenn diese als Eingliederungsversuch zu werten ist oder massgeblich auf sozialen Erwägungen des Arbeitgebers beruhte (BGE 134 V 20 E. 3.2.1; Urteil 9C_226/2023 E. 3.3).
  • Nachweis der berufsvorsorgerechtlich relevanten Einbusse: Es wird nicht zwingend eine echtzeitlich ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit verlangt. Retrospektive Annahmen oder spekulative Überlegungen reichen jedoch nicht aus. Die gesundheitliche Beeinträchtigung muss sich vielmehr sinnfällig auf das Arbeitsverhältnis auswirken oder ausgewirkt haben (z.B. durch Leistungsabfall, Ermahnungen des Arbeitgebers, gehäufte Absenzen). Bei einer "latenten Arbeitsunfähigkeit" ist entscheidend, wann diese in eine manifeste Arbeitsunfähigkeit übergegangen ist, da kein zwingender Zusammenhang zwischen einer Diagnose und der Arbeitsfähigkeit besteht (BGE 140 V 193 E. 3.1; Urteil 9C_228/2023 E. 2.2).
  • Beweislastverteilung: Eine Vorsorgeeinrichtung, die ihre Leistungspflicht bestreitet, weil die Arbeitsfähigkeit bereits zu Beginn des Vorsorgeverhältnisses gesundheitlich bedingt eingeschränkt gewesen sei, trägt hierfür die Beweislast. Macht der Leistungsansprecher geltend, der enge zeitliche Konnex sei während des Vorsorgeverhältnisses unterbrochen worden, trägt er die Folgen der Beweislosigkeit (Urteil 9C_630/2017 E. 3).
  • Tatfrage und Rechtsfrage: Feststellungen zum Gesundheitsschaden und zur Arbeitsfähigkeit sind Tatsachenfragen und für das Bundesgericht grundsätzlich bindend (Art. 105 Abs. 1 BGG), sofern sie nicht offensichtlich unrichtig sind (Willkür gemäss Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Frage des Zeitpunkts des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit ist ebenfalls eine Tatfrage. Die Anwendung der rechtlichen Kriterien und die Würdigung der Beweislage sind hingegen Rechtsfragen.

4. Anwendung auf den konkreten Fall und Würdigung der Sachverhaltsfeststellungen

Die Vorinstanz hatte festgestellt, dass der Beschwerdegegner jedenfalls seit dem 3. September 2019 zu 100 % arbeitsunfähig gewesen sei und ein sachlicher Konnex zwischen dieser und der aktuell invalidisierenden Arbeitsunfähigkeit bestehe. Eine Arbeitsunfähigkeit vor dem 3. September 2019 sei weder von den Gutachtern noch den behandelnden Ärzten attestiert worden. Obwohl der Beschwerdegegner unter psychischen Beeinträchtigungen gelitten habe, sei daraus keine relevante Arbeitsunfähigkeit hervorgegangen. Eine krankheitsbedingte Absenz oder ein Leistungsabfall vor Mitte Juli 2019 sei nicht ersichtlich. Auch die ärztlich attestierte Befreiung von Nachtschichten begründe keine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 20 %.

Entscheidend war die Feststellung der Vorinstanz, dass der Beschwerdegegner vom 1. Juni 2019 bis zum 2. September 2019 während rund drei Monaten in einem 100%-Pensum für die C.__ AG tätig war. Die Vorinstanz schloss daraus, dass die C.__ AG mit seiner Leistung zufrieden gewesen sein musste, da sie ihn von einem Leiharbeitsverhältnis in eine unbefristete Festanstellung übernahm. Aufgrund dieser dreimonatigen Tätigkeit erachtete die Vorinstanz den zeitlichen Konnex zu einer allfällig zuvor bestehenden, berufsvorsorgerechtlich relevanten Arbeitsunfähigkeit als unterbrochen.

Die Beschwerdeführerin rügte diese Feststellungen als offensichtlich unrichtig. Sie argumentierte, der Beschwerdegegner sei bereits seit November 2017 immer nur kurzzeitig tätig gewesen und aufgrund vorbestehender psychischer Probleme sowie "Mobbing"-Erfahrungen in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt gewesen. Er sei ab Januar 2019 arbeitsunfähig gewesen, was während der Arbeitslosigkeit lediglich nicht ärztlich attestiert worden sei. Auch die kurze Arbeitsunfähigkeit im Juli 2019 (nach ihren Angaben neun, gemäss Vorinstanz vier Tage) und die Ferien im August 2019 würden keine nachhaltige Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit belegen.

Das Bundesgericht wies die Rügen der Beschwerdeführerin zurück: * Die vorinstanzliche Feststellung, der Beschwerdegegner sei vom 1. Juni bis 2. September 2019, also während rund drei Monaten, für die C.__ AG tätig gewesen und habe die Arbeit offensichtlich zur Zufriedenheit des Arbeitgebers geleistet, sei nicht offensichtlich unrichtig und damit bindend. Die Übernahme in eine Festanstellung sei ein starkes Indiz dafür. * Die geltend gemachten Ferien und Feiertage im August 2019 hätten keinen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit. * Die kurzzeitige Arbeitsunfähigkeit im Juli 2019 (vier Tage) sei unklarer Ursache und von der Beschwerdeführerin auch nicht substanziiert als gleiche Ursache wie die spätere Invalidität dargelegt worden. * Betreffend die Zeit der Arbeitslosigkeit vor Juni 2019 verkenne die Beschwerdeführerin, dass für den Bezug von Arbeitslosentaggeldern eine Vermittlungsfähigkeit – und damit Arbeitsfähigkeit – gegeben sein müsse (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG). Die Vorinstanz habe nicht festgestellt, dass der Beschwerdegegner keine Taggelder bezogen hätte. * Unter diesen Umständen sei die Feststellung der Vorinstanz, dass der Beschwerdegegner vor dem 3. September 2019 während mindestens drei Monaten zu mehr als 80 % arbeitsfähig gewesen sei, nicht offensichtlich unrichtig. Damit sei der zeitliche Konnex zu einer allfälligen früheren Arbeitsunfähigkeit weggefallen, und die Beschwerdeführerin als Pensionskasse, bei der der Beschwerdegegner während dieser Zeit versichert war, sei leistungspflichtig nach Art. 23 BVG. * Ob die häufigen Stellenwechsel vor Januar 2019 auf eine erhebliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit hindeuten, liess das Bundesgericht offen, da die Unterbrechung des zeitlichen Konnexes durch die dreimonatige Tätigkeit ab Juni 2019 die Leistungszuständigkeit klar festlegte.

5. Schlussfolgerung des Gerichts

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten wurde. Es bestätigte damit die Leistungszuständigkeit der Pensionskasse A._ für die Ausrichtung einer Invalidenrente an B._.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Leistungspflicht der Pensionskasse A._ für eine Invalidenrente an B._. Entscheidend war der Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität führte, und der damit verbundene enge zeitliche Konnex gemäss Art. 23 lit. a BVG. Obwohl der Versicherte möglicherweise bereits zuvor gesundheitliche Probleme hatte, erachtete das Bundesgericht die Feststellung der Vorinstanz als bindend, dass er vom 1. Juni bis 2. September 2019 (drei Monate) zu 100 % gearbeitet hat. Diese unbestrittene, über 80%ige Arbeitsfähigkeit für mehr als drei Monate führte zur Unterbrechung eines allfällig zuvor bestehenden engen zeitlichen Konnexes. Demnach trat die relevante Arbeitsunfähigkeit, welche zur Invalidität führte, während der Versicherungsdauer bei der beschwerdeführenden Pensionskasse ein, wodurch diese leistungspflichtig wurde. Rügen der Pensionskasse bezüglich vorbestehender Einschränkungen oder unzureichender Arbeitsfähigkeit während dieser drei Monate wurden mangels offensichtlicher Unrichtigkeit der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen abgewiesen.