Zusammenfassung von BGer-Urteil 5A_647/2024 vom 28. August 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Bundesgerichtsurteil 5A_647/2024 vom 28. August 2025

Parteien und Streitgegenstand: Die Beschwerdeführer A._ und B._ (die Söhne des Erblassers D._ aus erster Ehe) fochten das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug an. Die Beschwerdegegnerin C._ (die zweite Ehefrau des Erblassers) war die Gegenseite. Streitgegenstand war die Ungültigkeit zweier letztwilliger Verfügungen des Erblassers D._: 1. Die öffentlich beurkundete Testamentsergänzung vom 12. Oktober 2012, mit der D._ seine Ehefrau C._ als Alleinerbin seines noch verbleibenden "ansehnlichen Vermögens" einsetzte, nachdem er in einem vorherigen Erbvertrag mit seinen Söhnen bereits deren Pflichtteilsansprüche abgegolten hatte. 2. Die handschriftliche "Persönliche Bestimmung" vom 25. August 2013, in der der Erblasser sich über seine Söhne beklagte, sein Vermögen weitgehend fürsorglichen Zwecken widmete und seiner Enkeltochter I._ eine Liegenschaft vermachte.

Vorinstanzliche Entscheidungen: Das Kantonsgericht Zug und das Obergericht des Kantons Zug wiesen die Ungültigkeitsklage der Söhne ab. Das Obergericht stellte fest, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentsergänzung vom 12. Oktober 2012 nicht in einem dauernden Schwächezustand im Sinne von Art. 16 ZGB gewesen sei und die Beschwerdeführer den Beweis der Urteilsunfähigkeit nicht erbracht hätten. Für die Persönliche Bestimmung vom 25. August 2013 verneinte das Obergericht das Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführer, da die Beschwerdegegnerin C.__ – ungeachtet der Gültigkeit dieser späteren Verfügung – ohnehin Alleinerbin bliebe, falls die Testamentsergänzung gültig sei.

Rechtliche Grundlagen der Urteilsfähigkeit und Verfügungsfähigkeit: Das Bundesgericht legte zunächst die massgeblichen rechtlichen Prinzipien dar: * Urteilsfähigkeit als Voraussetzung: Gemäss Art. 467 ZGB kann nur eine urteilsfähige Person ein gültiges Testament errichten. Fehlt diese Verfügungsfähigkeit, ist die letztwillige Verfügung mittels Ungültigkeitsklage anfechtbar (Art. 519 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB). * Definition der Urteilsfähigkeit (Art. 16 ZGB): Urteilsfähig ist, wer nicht infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln. Sie umfasst ein intellektuelles Element (Sinn, Zweckmässigkeit und Wirkungen einer Handlung erkennen) und ein Willens- bzw. Charakterelement (gemäss dieser Erkenntnis nach freiem Willen handeln und fremder Willensbeeinflussung normal widerstehen). * Relativität der Urteilsfähigkeit: Die Urteilsfähigkeit ist nicht abstrakt, sondern konkret auf eine bestimmte Handlung im Zeitpunkt ihrer Vornahme und unter Berücksichtigung ihrer Rechtsnatur und Wichtigkeit zu beurteilen (BGE 144 III 264 E. 6.1.1). Ein Testament gilt allgemein als eher anspruchsvolles Geschäft, insbesondere bei komplizierten Verfügungen. Die Komplexität ist massgeblich: Ein einfaches Testament kann auch von einer Person errichtet werden, die für komplexere Anordnungen urteilsunfähig wäre. Die Beurteilung des Schwierigkeitsgrades eines Testaments ist eine Rechtsfrage. * Beweislast und Beweismass: Die Urteilsfähigkeit wird vermutet; wer die Urteilsunfähigkeit behauptet, muss sie beweisen. Bei Verstorbenen genügt das erleichterte Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 144 III 264 E. 5.4). Führt die Lebenserfahrung bei bestimmten Krankheiten zur umgekehrten Vermutung der Urteilsunfähigkeit, obliegt der Gegenpartei der Gegenbeweis eines luziden Intervalls oder der spezifischen Urteilsfähigkeit für die streitige Handlung. * Demenz und Urteilsfähigkeit: Das Vorliegen einer Demenzerkrankung begründet nicht per se Urteilsunfähigkeit; entscheidend ist die rechtliche Einstufung im Einzelfall mit Blick auf die Fähigkeit zu vernunftgemässem Handeln. Während Demenz im Frühstadium die Urteilsfähigkeit in der Regel nicht ausschliesst, führt sie irgendwann unweigerlich zu umfassender Urteilsunfähigkeit. * Tatsachen- und Rechtsfragen: Feststellungen über den Geisteszustand einer Person sind Tatfragen, deren Beurteilung durch das Bundesgericht nur bei offensichtlicher Unrichtigkeit (Willkür, Art. 9 BV) überprüft wird. Die Schlussfolgerung vom Geisteszustand auf die Urteilsfähigkeit ist hingegen eine Rechtsfrage.

Würdigung der massgeblichen Punkte und Argumente des Bundesgerichts:

  1. Privatgutachten und Sachverständigenbeweis (E. 4): Die Beschwerdeführer rügten, das Obergericht habe ihr Privatgutachten von Prof. Dr. med. R.__ unzureichend gewürdigt und dessen Einvernahme verweigert. Das Bundesgericht bestätigte, dass Privatgutachten nach der im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils geltenden ZPO (nicht der revidierten Art. 177 ZPO) als Parteibehauptungen gelten und keinen zulässigen Beweiswert haben. Entsprechend sei die Verweigerung der Einvernahme nicht zu beanstanden. Das Obergericht habe die Einschätzung des Privatgutachters inhaltlich gewürdigt und begründet, warum es ihr nicht gefolgt sei.

  2. Demenzgrad des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentsergänzung (E. 6):

    • Obergerichtliche Feststellung: Das Obergericht kam zur Einschätzung, dass der Erblasser im Oktober 2012 höchstens an einer leichten Demenz vom Alzheimertyp litt und sich nicht in einem dauernden Schwächezustand gemäss Art. 16 ZGB befand. Dies stützte es massgeblich auf das von der KESB in Auftrag gegebene und daher unabhängige Gutachten von Dr. med. S.__ vom 8. Dezember 2013, das auch im Dezember 2013 noch eine leichte Demenz diagnostizierte. Angesichts des progredienten Verlaufs der Demenz sei daher für Oktober 2012 von höchstens einer leichten Demenz auszugehen. Die in der Praxis etablierte Faustregel, dass bei leichter Demenz die Urteilsfähigkeit zu bejahen sei, wurde angeführt.
    • Abgrenzung zu anderen Gutachten/Aussagen: Das Gericht lehnte die Schätzung von PD Dr. med. P._ als nicht beweiskräftig ab, da sie auf "reiner Schätzung" beruhte und er den Erblasser im relevanten Zeitraum nicht untersucht hatte. Die Aussagen von Dr. med. N._ (Hausarzt) und Dr. med. O._ (Verfasser ärztlicher Berichte) wurden wegen mangelnder Begründung (N._) bzw. Widersprüchlichkeit und Befangenheit (O.__, der die Urteilsfähigkeit nur bei "guter Beratung" annahm) als wenig beweiskräftig eingestuft.
    • Würdigung von Laienaussagen: Die Aussagen von Geschäftspartnern und Vertrauenspersonen (J._, M._, K._, G._) wurden als glaubwürdig und relevant erachtet, da sie auf konkreten Beobachtungen beruhten und den Erblasser im relevanten Zeitraum als urteilsfähig wahrnahmen. Insbesondere wurde der detaillierte Ablauf der Beurkundung mit dem Notar G._ (zwei Vorbesprechungen, Entwurf, Änderung, Beurkundung ohne Ehefrau C._) als Indiz für einen autonomen Willensbildungsprozess gewertet.
    • Bundesgerichtliche Prüfung: Das Bundesgericht erachtete die obergerichtliche Beweiswürdigung als nicht willkürlich. Die Rügen der Beschwerdeführer seien grossenteils appellatorisch. Die Annahme einer höchstens leichten Demenz im Oktober 2012 sei willkürfrei erfolgt. Da kein dauernder Schwächezustand angenommen wurde, blieb die Beweislast für die Urteilsunfähigkeit bei den Beschwerdeführern, was als korrekt beurteilt wurde.
  3. Komplexität und Tragweite der Testamentsergänzung (E. 7):

    • Obergerichtliche Feststellung: Die Testamentsergänzung vom 12. Oktober 2012 wurde als wenig komplex und nicht von grosser Tragweite eingestuft. Sie habe lediglich das "restliche Vermögen" betroffen, über das der Erblasser nach den Regelungen vom 30. August 2012 (Erbverzicht der Söhne) frei verfügen konnte. Die Verfügung sei einfach formuliert gewesen, ohne komplexe Auflagen.
    • Relation zum Gesamtvermögen und Familiengefüge: Der Wert von ca. 100 Mio. CHF wurde als nur 10 % des Gesamtvermögens eingeordnet und habe die Kontrolle über das Firmenimperium F.__ nicht gefährdet. Die Auswirkungen auf das Familiengefüge seien gering gewesen, da das Verhältnis zu den Söhnen bereits vor dem 12. Oktober 2012 getrübt war (u.a. wegen Forderungen der Söhne und mangelnder Dankbarkeit).
    • Vergleich mit Vorsorgeauftrag: Der Erblasser wurde für seinen Vorsorgeauftrag vom 26. April 2013, der als komplexer galt und später erstellt wurde (Demenz war weiter fortgeschritten), gerichtlich als urteilsfähig befunden. Dies stütze die Einschätzung für die frühere, einfachere Testamentsergänzung.
    • Bundesgerichtliche Prüfung: Das Bundesgericht bestätigte die obergerichtliche Einschätzung. Es hob hervor, dass die Komplexität der Verfügung von der Komplexität des Nachlassvermögens zu unterscheiden sei. Eine einfache Einsetzung eines Erben sei, wie bereits in BGE 5C.193/2004 festgestellt, als einfache Anordnung zu werten, selbst wenn das Vermögen gross ist. Die subjektive Komponente der Komplexität sei im Rahmen der Frage nach einem "Kurswechsel" ausreichend berücksichtigt worden.
  4. Vorliegen eines "Kurswechsels" des Erblasserwillens (E. 8):

    • Obergerichtliche Feststellung: Das Obergericht verneinte einen "Kurswechsel". Die Testamentsergänzung sei nicht überstürzt erfolgt, sondern nach zwei Vorbesprechungen mit dem Notar. Die früheren Regelungen (Gütertrennung, Erbverzicht der Ehefrau) hätten gerade dazu gedient, dem Erblasser die Freiheit zu sichern, später über das restliche Vermögen zu verfügen, um eine Zersplitterung des Firmenimperiums zu vermeiden. Es sei den Söhnen nicht gelungen zu beweisen, dass die "Grundüberzeugung" des Erblassers war, das gesamte restliche Vermögen nur unter den leiblichen Nachkommen zu verteilen.
    • Konsistenz des Willens: Der Erblasser habe seine Söhne bereits 2012 wegen deren finanziellen Forderungen abgewiesen und deren Partner aus dem Geschäft fernhalten wollen. Demgegenüber habe er ein konstantes Vertrauen in die Beschwerdegegnerin C.__ gezeigt (u.a. durch die spätere Vorsorgevollmacht). Die letztwillige Verfügung zugunsten der Ehefrau sei vor diesem Hintergrund objektiv nachvollziehbar und kein "absurder" Sinneswandel, der auf mangelnde Urteilsfähigkeit hindeuten würde. Die Prüfung der Urteilsfähigkeit sei keine Inhaltskontrolle der Vernünftigkeit oder Gerechtigkeit einer Verfügung.
    • Bundesgerichtliche Prüfung: Das Bundesgericht bestätigte, dass eine Inhaltskontrolle der Verfügung nicht Aufgabe des Gerichts sei. Die strittige Verfügung sei mit der Person des Erblassers und dessen bekannten Überzeugungen in Einklang zu bringen, da er durch die vorherigen Vereinbarungen seine freie Verfügungsgewalt behalten habe und das Verhältnis zu den Söhnen bereits getrübt war.
  5. Abnorme Beeinflussbarkeit und Einflussnahme (E. 9):

    • Obergerichtliche Feststellung: Das Obergericht stellte fest, dass die Beschwerdeführer weder eine abnorme Beeinflussbarkeit des Erblassers noch einen konkreten Beeinflussungsversuch durch die Beschwerdegegnerin rechtsgenüglich bewiesen hätten. Die Vermutung der Wirksamkeit einer Einflussnahme greife nur, wenn beide Voraussetzungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststünden.
    • Fehlender Beweis eines Versuchs: Die Beschwerdeführer konnten keine konkreten Beweise für einen Einflussversuch vorlegen. Die Ehefrau C._ war bei den Besprechungen mit dem Notar G._ und bei der Beurkundung nicht anwesend. Der Notar sagte aus, der Erblasser habe konstant seinen Willen geäussert.
    • Fähigkeit zum Widerstand: Der Erblasser hatte in anderen Situationen eindrucksvoll seine Fähigkeit gezeigt, sich gegen Beeinflussung zu wehren (z.B. indem er die Forderung seines Sohnes B.__ nach einem höheren Betrag ablehnte und seinen Hausarzt entgegen dem Wunsch der Ehefrau wechselte). Dies sprach gegen eine abnorme Beeinflussbarkeit.
    • Bundesgerichtliche Prüfung: Das Bundesgericht stützte die Argumentation des Obergerichts. Es sei irrelevant, ob eine abnormale Beeinflussbarkeit des Erblassers vorlag, wenn kein Beeinflussungsversuch nachgewiesen wurde. Die Vorbringen der Beschwerdeführer seien appellatorisch und stützten sich teilweise auf unzulässige Tatsachenbehauptungen.
  6. Rechtsschutzinteresse für die "Persönliche Bestimmung" (E. 10): Da die Beschwerdeführer mit ihren Vorbringen bezüglich der Ungültigerklärung der Testamentsergänzung vom 12. Oktober 2012 nicht durchdrangen und diese somit gültig ist, bleibt die Beschwerdegegnerin C.__ Alleinerbin. Das Bundesgericht musste sich daher, wie bereits das Obergericht, zum zweiten Teil des Rechtsbegehrens (Ungültigerklärung der Persönlichen Bestimmung) nicht weiter äussern, da den Beschwerdeführern hierfür das schutzwürdige Rechtsschutzinteresse fehlte.

Schlussfolgerung: Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten war, und bestätigte das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug. Die Testamentsergänzung vom 12. Oktober 2012 wurde als gültig erachtet.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht wies die Ungültigkeitsklage der Söhne gegen die letztwilligen Verfügungen ihres Vaters ab. Es bestätigte, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der entscheidenden Testamentsergänzung vom 12. Oktober 2012, die seine zweite Ehefrau als Alleinerbin des Restvermögens einsetzte, urteilsfähig war. Das Gericht stützte sich dabei auf die Feststellung einer höchstens leichten Demenz (gemäss KESB-Gutachten), welche die Urteilsfähigkeit nicht ausschloss. Die Verfügung wurde als wenig komplex und nachvollziehbar im Kontext der gesamten Lebensgeschichte des Erblassers und seiner Beziehungen zu den Parteien eingestuft, ohne einen "Kurswechsel" zu erkennen. Zudem wurde weder eine abnorme Beeinflussbarkeit noch ein konkreter Beeinflussungsversuch durch die Ehefrau bewiesen. Da die Hauptverfügung gültig blieb, fehlte den Söhnen das Rechtsschutzinteresse für die Anfechtung einer späteren, nachrangigen Verfügung.