Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_401/2024 vom 2. September 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Urteil: 2C_401/2024 vom 2. September 2025

Parteien: * Beschwerdeführer: Eidgenössisches Departement des Innern (EDI) * Beschwerdegegnerin: A.__ * Weitere Beteiligte: Medizinalberufekommission MEBEKO, Sektion Hochschulbildung, Bundesamt für Gesundheit

Streitgegenstand: Es ging um die indirekte Anerkennung eines Diploms als Zahnärztin (Algerien/Rumänien) und die Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage diese Anerkennung zu erfolgen hat.

Sachverhalt: Die Beschwerdegegnerin, eine französische Staatsangehörige, erwarb am 4. Juli 2016 ein Diplom als Zahnärztin an der Universität B._ in U._, Algerien. Am 25. Juli 2018 beantragte sie bei der Medizinalberufekommission (MEBEKO) die Anerkennung dieses Diploms in der Schweiz. Sie reichte eine Bestätigung des rumänischen Bildungsministeriums vom 12. Juni 2018 ein, wonach ihr algerisches Diplom in Rumänien gemäss der EU-Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (fortan: Richtlinie 2005/36/EG) anerkannt worden war. Die MEBEKO lehnte den Antrag mit Schreiben vom 29. November 2018 und später erneut mit Entscheid vom 2. Dezember 2022 ab. Die Begründung war, dass die Beschwerdegegnerin nicht über die nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2005/36/EG erforderliche dreijährige Berufserfahrung in Rumänien oder der Schweiz verfügte, welche eine Bedingung für die indirekte Anerkennung gewesen wäre.

Vorinstanzlicher Entscheid (Bundesverwaltungsgericht, BVGer): Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) hiess die Beschwerde der A.__ mit Urteil vom 14. Juni 2024 gut, hob den Entscheid der MEBEKO auf und wies die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die MEBEKO zurück. Das BVGer stellte fest, dass die Beschwerdegegnerin aus der Richtlinie 2005/36/EG keine Ansprüche auf (indirekte) Anerkennung ihres Diploms ableiten konnte, da sie die dreijährige Berufserfahrung in Rumänien oder der Schweiz nicht erfüllte. Es hielt jedoch fest, dass dies nicht zur vollständigen Ablehnung des Anerkennungsbegehrens führen dürfe. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) – von der nicht abzuweichen sei – sei, wenn ein Fall nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/36/EG falle, das Primärrecht anzuwenden. Im schweizerisch-europäischen Kontext sei dies das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681). Insbesondere das Diskriminierungsverbot und die Garantie des Zugangs zu einer Erwerbstätigkeit verpflichteten die MEBEKO, eine materielle Vergleichsprüfung vorzunehmen. Die MEBEKO müsse die Diplome, Zeugnisse und anderen Befähigungsnachweise sowie die berufliche Erfahrung der Beschwerdegegnerin mit den nationalen Qualifikationsanforderungen vergleichen. Falls dabei keine direkte Anerkennung möglich sei, müsse die MEBEKO die festgestellten Ausbildungsunterschiede mitteilen, damit die Beschwerdegegnerin ihr Wissen in den defizitären Bereichen ergänzen könne. Erweise sie sich danach als kompetent, sei die Gleichwertigkeit der Berufsqualifikationen anzuerkennen. Andernfalls seien die Bedingungen für den Erwerb des eidgenössischen Diploms festzulegen, unter Berücksichtigung des Werdegangs und der Berufserfahrung der Beschwerdegegnerin, und gegebenenfalls zu entscheiden, ob sie die gesamte eidgenössische Prüfung oder nur Teile davon ablegen müsse.

Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht:

1. Prozessuale Aspekte (Zulässigkeit der Beschwerde): Das Bundesgericht prüfte zunächst die Zulässigkeit der Beschwerde des EDI. Es stellte fest, dass das EDI als Bundesbehörde gemäss Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG ein abstraktes und autonomes Beschwerderecht zur Sicherstellung einer korrekten und einheitlichen Anwendung des Bundesrechts hat. Der angefochtene Entscheid des BVGer, der die Sache an die MEBEKO zur Neubeurteilung zurückwies, ist ein Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 Abs. 1 BGG. Solche Zwischenentscheide sind nur dann anfechtbar, wenn sie einen irreparablen Nachteil verursachen können. Das Bundesgericht bejahte dies hier: Da das BVGer der MEBEKO materielle Vorgaben für die Neubeurteilung gemacht hatte, wäre die MEBEKO gezwungen, einen aus ihrer Sicht rechtswidrigen Entscheid zu erlassen. Das EDI als Beschwerdeführer wäre nicht befugt, gegen diesen neuen Entscheid der MEBEKO vor dem BVGer Beschwerde zu erheben (da Art. 48 VwVG kein allgemeines Beschwerderecht von Bundesbehörden wie Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG vorsieht). Ein solcher Nachteil führt zur Zulässigkeit der Beschwerde gegen den Zwischenentscheid.

2. Anwendbarkeit der Richtlinie 2005/36/EG: Das Bundesgericht analysierte die Anwendungsbedingungen der Richtlinie 2005/36/EG, insbesondere Art. 2 und Art. 3 Abs. 3. Gemäss Art. 3 Abs. 3 wird ein in einem Drittstaat erworbenes Diplom einem Ausbildungsnachweis gleichgestellt, wenn der Inhaber in dem betreffenden Beruf eine dreijährige Berufserfahrung im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats nachweist, der das Diplom gemäss Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie bereits anerkannt hat. Das Bundesgericht bestätigte die Einschätzung des BVGer, dass die Beschwerdegegnerin – obwohl französische Staatsangehörige mit einem von Rumänien anerkannten algerischen Diplom – die dreijährige Berufserfahrung in Rumänien oder der Schweiz nicht nachweisen konnte. Entgegen der Auffassung des EDI ist die dreijährige Berufserfahrung jedoch keine Bedingung für die Anerkennung innerhalb der Richtlinie, sondern eine Voraussetzung für deren Anwendbarkeit ("Anwendungsbedingung"). Da diese Bedingung nicht erfüllt ist, fällt der Fall nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/36/EG. Somit war die Richtlinie in diesem Fall nicht die massgebende Rechtsgrundlage.

3. Anwendbarkeit des Freizügigkeitsabkommens (FZA) / Primärrechts:

  • Interpretationsgrundsätze des FZA: Das FZA ist gemäss den Regeln der Wiener Vertragsrechtskonvention (Art. 31 ff. WVK) auszulegen. Bezüglich gemeinschaftsrechtlicher Begriffe ist die EuGH-Rechtsprechung vor dem 21. Juni 1999 (Datum der Unterzeichnung des FZA) massgebend (Art. 16 Abs. 2 FZA). Auch spätere EuGH-Rechtsprechung wird jedoch zur Gewährleistung einer parallelen Rechtslage berücksichtigt, sofern keine schwerwiegenden Gründe dagegen sprechen.

  • EuGH-Rechtsprechung: Das Bundesgericht verweist auf die massgebende EuGH-Rechtsprechung:

    • Urteil Hocsman (C-238/98, 2000): Falls eine Richtlinie zur gegenseitigen Anerkennung von Diplomen nicht anwendbar ist, ist das Primärrecht – namentlich die Freiheit der Niederlassung (damals Art. 52 EG-Vertrag) – so auszulegen, dass der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet ist, eine Vergleichsprüfung zwischen den durch die Befähigungsnachweise und die Erfahrung des Antragstellers bescheinigten Kompetenzen und den nach nationalem Recht für die Berufsausübung erforderlichen Kenntnissen und Qualifikationen vorzunehmen. Hocsman bezog sich auf das frühere Vlassopoulou-Urteil (C-340/89, 1991), welches Teil des bilateralen Acquis ist.
    • Neuere EuGH-Urteile (BB C-166/20, 2021; Sosiaali- ja terveysalan C-634/20, 2022): Der EuGH hat diese Linie sogar dahingehend erweitert, dass das Primärrecht auch dann zur Anwendung gelangt, wenn ein Fall zwar in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/36/EG fällt, die darin genannten Bedingungen für die Anerkennung jedoch nicht erfüllt sind.
  • Bundesgerichtliche Rechtsprechung: Das Bundesgericht hat die EuGH-Rechtsprechung bereits in mehreren Urteilen aufgegriffen und adaptiert:

    • ATF 133 V 33: Anwendung der Hocsman/Vlassopoulou-Grundsätze.
    • ATF 136 II 470: Bestätigte, dass bei fehlender Richtlinienregelung eine materielle Vergleichsprüfung auf der Grundlage der Gründungsverträge bzw. des EU-Primärrechts (FZA) vorzunehmen ist.
    • Aktueller Entscheid (2C_49/2024 vom 6. August 2025): Bestätigte erneut, dass selbst wenn ein Fall in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/36/EG fällt, die Bedingungen für die Anerkennung aber nicht erfüllt sind, eine Vergleichsprüfung auf Grundlage des im FZA verankerten Diskriminierungsverbots (Art. 2 FZA und Art. 9 oder 15 Anh. I FZA) vorzunehmen ist.
  • Lehre: Auch die Doktrin stützt die Ansicht, dass die Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung im Rahmen des FZA gelten und somit eine Vergleichsprüfung durchzuführen ist, wenn die Richtlinie 2005/36/EG nicht anwendbar ist oder deren Bedingungen nicht erfüllt sind.

  • Konsequenz der FZA-Anwendung: Die Vergleichspflicht: Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass das Recht auf Anerkennung eines Diploms direkt aus den Grundfreiheiten des Primärrechts und dem Diskriminierungsverbot des Art. 2 FZA (bzw. Art. 9 und 15 Anh. I FZA) ableitbar ist. Wenn die Richtlinie 2005/36/EG somit nicht anwendbar ist, muss die zuständige schweizerische Behörde (MEBEKO) eine materielle Vergleichsprüfung vornehmen. Dabei sind alle Diplome, Zeugnisse und anderen Befähigungsnachweise sowie die gesamte Berufserfahrung der betreffenden Person zu berücksichtigen. Zeigt der Vergleich nur eine teilweise Übereinstimmung, kann die Behörde die Person dazu auffordern, die fehlenden Kenntnisse und Qualifikationen durch zusätzliche Ausbildung, ergänzende Prüfungen oder praktische Erfahrung nachzuweisen. Gelingt dies, ist die Gleichwertigkeit der Qualifikationen anzuerkennen. Andernfalls sind die Bedingungen für den Erwerb des eidgenössischen Diploms festzulegen (Art. 15 Abs. 4 LPMed, Art. 6 Verordnung über die Prüfungen in den universitären Medizinalberufen), wobei die MEBEKO über einen erheblichen Ermessensspielraum verfügt.

  • Abgrenzung zur akademischen Anerkennung (Gegenargument des EDI): Das EDI argumentierte, eine solche Vergleichsprüfung würde die MEBEKO die gleiche Aufgabe wie die Universitäten wahrnehmen lassen, was zu "widersprüchlichen" Entscheidungen führen könnte. Das Bundesgericht widersprach dieser Ansicht: Es sei zwischen beruflicher und akademischer Anerkennung zu unterscheiden. Die berufliche Anerkennung zielt auf die Ausübung eines regulierten Berufs ab, während die akademische Anerkennung den Zugang zu Hochschulstudien ermöglicht. Die berufliche Anerkennung kann dabei strengere Kriterien anwenden und die gesamte Ausbildung und Berufserfahrung berücksichtigen, während die akademische Anerkennung sich in der Regel auf die reinen Ausbildungsnachweise stützt. Das Bundesgericht sieht daher keinen Widerspruch und die Existenz der akademischen Anerkennung hindert nicht die Anwendung des FZA für die berufliche Anerkennung.

  • Zuständigkeit der MEBEKO (Gegenargument des EDI): Das EDI bezweifelte die Zuständigkeit der MEBEKO für die Durchführung einer solchen Vergleichsprüfung. Das Bundesgericht hielt dem entgegen, dass die Aufgaben und Kompetenzen der MEBEKO in Art. 50 LPMed abschliessend aufgezählt sind und explizit die Entscheidung über die Anerkennung ausländischer Diplome (Art. 50 Abs. 1 lit. d i.V.m. Art. 15 Abs. 3 LPMed) umfassen. Die geforderte Vergleichsprüfung fällt somit klar in den Zuständigkeitsbereich der MEBEKO.

Entscheid des Bundesgerichts: Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Eidgenössischen Departements des Innern ab und bestätigt damit den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts. Es werden keine Gerichtskosten erhoben, und der Beschwerdegegnerin wird eine Parteientschädigung von CHF 2'000.– zugesprochen.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  1. Anwendbarkeit der Richtlinie 2005/36/EG verneint: Die indirekte Anerkennung des algerischen Diploms einer französischen Staatsangehörigen, das in Rumänien anerkannt wurde, fällt nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/36/EG, da die zwingende Voraussetzung einer dreijährigen Berufserfahrung in einem EU-Staat (Art. 3 Abs. 3) nicht erfüllt ist.
  2. Anwendung des Primärrechts (FZA) bejaht: Da das Sekundärrecht (Richtlinie) nicht anwendbar ist, kommt das Primärrecht des Freizügigkeitsabkommens (FZA) zur Anwendung. Das FZA, insbesondere das Diskriminierungsverbot (Art. 2, 9, 15 Anh. I FZA), verlangt eine materielle Vergleichsprüfung der Berufsqualifikationen.
  3. Vergleichspflicht der MEBEKO: Die Medizinalberufekommission (MEBEKO) ist verpflichtet, die algerische Ausbildung, die Berufserfahrung und die Weiterbildungen der Beschwerdegegnerin mit den schweizerischen Anforderungen zu vergleichen. Bei nur teilweiser Übereinstimmung sind Massnahmen zur Kompensation der Defizite vorzuschlagen (z.B. zusätzliche Ausbildung, Prüfungen, praktische Erfahrung).
  4. Zuständigkeit der MEBEKO bestätigt: Die Durchführung dieser Vergleichsprüfung liegt im Kompetenzbereich der MEBEKO gemäss Art. 15 Abs. 3 und Art. 50 Abs. 1 lit. d LPMed.
  5. Abgrenzung zur akademischen Anerkennung: Die Vergleichspflicht für die berufliche Anerkennung unterscheidet sich von der akademischen Anerkennung und führt nicht zu widersprüchlichen Entscheidungen, da unterschiedliche Ziele und Kriterien verfolgt werden.
  6. Bestätigung des BVGer-Entscheids: Das Bundesgericht weist die Beschwerde des EDI ab und bestätigt die Rückweisung der Sache an die MEBEKO zur Vornahme der vom BVGer verlangten Vergleichsprüfung.