Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_616/2024 vom 4. September 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts (2C_616/2024 vom 4. September 2025) detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 2C_616/2024

Parteien und Gegenstand

Das Urteil betrifft einen Rekurs von zwei Arbeitgeberverbänden, "Genève Commerces" und "Nouvelle Organisation Des Entrepreneurs (NODE)" (nachfolgend: die Beschwerdeführerinnen), gegen einen Entscheid der Cour de justice des Kantons Genf. Die Intimierten sind das "Syndicat interprofessionnel de travailleuses et travailleurs (SIT)" und der "Syndicat UNIA" (nachfolgend: die Gewerkschaften). Der Streitgegenstand ist die Frage, ob die Beschäftigung von Personal in Geschäften am Sonntag, 22. Dezember 2024, in Genf einer Bewilligung gemäss dem Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG) bedarf oder nicht.

Sachverhalt und Prozessgeschichte

  1. Entscheid der Direktion der Handelspolizei (20. September 2024): Die Direktion der Polizei des Handels und der Bekämpfung der Schwarzarbeit des Kantons Genf (Direction cantonale) erlaubte den dem Genfer Gesetz über die Ladenöffnungszeiten (LHOM/GE) unterstellten Geschäften, am Sonntag, 22. Dezember 2024, bis 17:00 Uhr geöffnet zu bleiben. Diese Entscheidung bezog sich ausschliesslich auf die Ladenöffnungszeiten gemäss kantonalem Polizeirecht und hielt ausdrücklich fest, dass die Anwendung der Bestimmungen des ArG, insbesondere jener zur Sonntagsarbeit, der Zuständigkeit des kantonalen Amts für Arbeitsinspektion und Arbeitsbeziehungen (Office cantonal) vorbehalten bleibt. Dieser Entscheid wurde nicht angefochten und erwuchs in Rechtskraft.

  2. Entscheid des Office cantonal (4. Oktober 2024): Die Gewerkschaften ersuchten das Office cantonal, eine Feststellungsverfügung zu erlassen, wonach die Beschäftigung von Personal am 22. Dezember 2024 eine Bewilligung nach Art. 19 Abs. 3 ArG erfordere. Das Office cantonal stellte jedoch fest, dass die Beschäftigung von Personal an diesem Sonntag ohne Bewilligung gemäss Art. 19 Abs. 6 ArG zulässig sei.

  3. Urteil der Cour de justice (28. November 2024): Gegen den Entscheid des Office cantonal erhoben die Gewerkschaften Rekurs bei der Genfer Cour de justice. Die Cour de justice hiess den Rekurs gut, hob den Entscheid des Office cantonal auf und stellte fest, dass die Beschäftigung von Personal am 22. Dezember 2024 eine Bewilligung nach Art. 19 Abs. 3 ArG (wegen dringenden Bedürfnisses) voraussetze. Die Cour de justice begründete dies damit, dass Art. 18A LHOM/GE, der die Anwendung von Art. 19 Abs. 6 ArG auf kantonaler Ebene konkretisiert, die Möglichkeit der bewilligungsfreien Sonntagsarbeit an das Bestehen eines allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsvertrags (GAV) in der Genfer Detailhandelsbranche knüpfe. Da ein solcher GAV nicht existiere, sei eine bewilligungsfreie Sonntagsarbeit ausgeschlossen. Die Cour de justice liess offen, ob die Bedingung eines GAV in Art. 18A LHOM/GE mit Bundesrecht konform sei, hielt aber fest, dass der kantonale Gesetzgeber diese Bedingung als unabdingbar erachtete, um Art. 19 Abs. 6 ArG umzusetzen.

Anwendbares Recht und Gesetzgebungsgeschichte

Das Bundesgericht erläutert den relevanten Rechtsrahmen detailliert:

  1. Bundesrecht (ArG):

    • Art. 18 Abs. 1 ArG: Grundsätzliches Verbot der Sonntagsarbeit (Samstag 23:00 Uhr bis Sonntag 23:00 Uhr).
    • Art. 19 ArG: Regelungen für Ausnahmen von der Sonntagsarbeit:
      • Abs. 3: Temporäre Sonntagsarbeit ist bei nachgewiesenem dringendem Bedürfnis bewilligungspflichtig und erfordert einen Lohnzuschlag von 50%.
      • Abs. 6: Die für den vorliegenden Fall zentrale Bestimmung, die am 1. Juli 2008 in Kraft trat. Sie erlaubt den Kantonen, höchstens vier Sonntage pro Jahr festzulegen, an denen Personal in Verkaufsgeschäften ohne Bewilligung beschäftigt werden darf.
    • Ziel von Art. 19 Abs. 6 ArG: Schaffung einer einheitlichen Praxis und grösserer Rechtssicherheit bei der Zulässigkeit der Sonntagsarbeit, indem auf die Bedingung eines "dringenden Bedürfnisses" verzichtet wird. Der Bundesgesetzgeber wollte es den Kantonen freistellen, wie sie diese Möglichkeit umsetzen, lehnte aber einen parlamentarischen Vorschlag ab, zusätzliche kantonale Bedingungen wie GAV-Bindungen zu erlauben.
  2. Kantonales Recht (LHOM/GE):

    • Art. 71 lit. c ArG: Kantone sind für Polizeivorschriften über die Sonntagsruhe und Ladenöffnungszeiten zuständig, die der öffentlichen Ruhe dienen, aber nicht für den Arbeitnehmerschutz, welcher vom ArG abschliessend geregelt wird.
    • Revision der LHOM/GE (2017): Ziel war die Nutzung der bundesrechtlichen Möglichkeit gemäss Art. 19 Abs. 6 ArG für vier Sonntage pro Jahr.
    • Art. 18 LHOM/GE: Erlaubt die bewilligungsfreie Beschäftigung am 31. Dezember.
    • Art. 18A LHOM/GE: Erlaubt die bewilligungsfreie Beschäftigung an drei weiteren Sonntagen pro Jahr, jedoch nur, wenn ein allgemeinverbindlicher GAV im Detailhandel des Kantons Genf existiert. Diese GAV-Bedingung wurde während der parlamentarischen Debatten hinzugefügt.

Argumentation des Bundesgerichts

Das Bundesgericht tritt auf den Rekurs ein, obwohl der fragliche Sonntag bereits vergangen ist. Es begründet dies damit, dass der Rekurs eine grundlegende Rechtsfrage aufwirft, die sich jederzeit unter ähnlichen Umständen wiederholen kann und aus prinzipiellen Gründen einer gerichtlichen Klärung bedarf (Konstanz der Rechtsprechung zu Art. 89 Abs. 1 lit. c LTF).

  1. Zuständigkeit der Office cantonal: Die Beschwerdeführerinnen argumentierten, die Gewerkschaften hätten den ursprünglichen Entscheid der Direction cantonale vom 20. September 2024 anfechten müssen. Das Bundesgericht weist dies zurück. Der Entscheid der Direction cantonale regelte lediglich die polizeiliche Ladenöffnung gemäss kantonalem Recht und behielt die arbeitsrechtliche Frage der Personalbeschäftigung explizit dem Office cantonal vor. Erst dessen Entscheid vom 4. Oktober 2024, der die bewilligungsfreie Beschäftigung von Personal gemäss ArG feststellte, konnte Gegenstand eines Rechtsmittels sein.

  2. Verletzung des Vorrangs des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV): Dies bildet den Kern der bundesgerichtlichen Argumentation.

    • Erschöpfende Regelung des Arbeitnehmerschutzes durch das ArG: Das Bundesgericht hält fest, dass die Bundeskompetenz im Arbeitnehmerschutz gemäss Art. 110 Abs. 1 lit. a und b BV eine abschliessende Regelung durch das ArG zur Folge hat. Kantonale oder kommunale Ladenöffnungszeiten dürfen daher ausschliesslich die öffentliche Ruhe und den Sonntagsschutz (Art. 71 lit. c ArG) sowie den Schutz von nicht dem ArG unterstellten Personen (z.B. Ladeninhaber) bezwecken, nicht aber den Arbeitnehmerschutz.
    • Präzedenzfälle: Das Bundesgericht verweist auf seine ständige Rechtsprechung, insbesondere BGE 130 I 279 und BGE 148 I 198. In diesen Urteilen wurde explizit festgehalten, dass kantonale Bestimmungen, welche die Verlängerung von Ladenöffnungszeiten an die Einhaltung eines GAV knüpfen, ein Druckmittel auf die Arbeitgeber darstellen und somit offensichtlich dem Arbeitnehmerschutz dienen. Solche Bestimmungen wurden als unvereinbar mit dem abschliessenden Charakter des ArG und somit als bundesrechtswidrig (Verletzung von Art. 49 Abs. 1 BV) aufgehoben.
    • Analyse von Art. 18A LHOM/GE: Die GAV-Bedingung in Art. 18A LHOM/GE hat unbestreitbar den Zweck, den Arbeitnehmerschutz zu fördern, was der kantonale Gesetzgeber auch während der Debatten anerkannte. Indem das kantonale Recht die Nutzung der bundesrechtlichen Erleichterung (vier Sonntage ohne Bewilligung) an eine arbeitsrechtliche Bedingung (Existenz eines GAV) knüpft, greift es in die ausschliessliche Kompetenz des Bundes im Bereich des Arbeitnehmerschutzes ein. Der kantonale Gesetzgeber darf seine Polizeikompetenzen nicht dazu nutzen, um arbeitsrechtliche Ziele zu verfolgen.
    • Wille des Bundesgesetzgebers: Das Bundesgericht betont, dass der Bundesgesetzgeber mit der Einführung von Art. 19 Abs. 6 ArG eine einheitliche und nicht fragmentierte Regelung der Sonntagsarbeit für eine begrenzte Anzahl Sonntage anstrebte. Ein parlamentarischer Vorschlag, den Kantonen die Möglichkeit zu geben, weitere Bedingungen wie GAV-Vorschriften für die Sonntagsarbeit festzulegen (Art. 19 Abs. 7 ArG), wurde explizit abgelehnt. Dies bekräftigt, dass die bundesrechtlichen Schutzbestimmungen (Lohnzuschlag, Zustimmung der Arbeitnehmer, Ersatzruhetag) als ausreichend erachtet wurden und keine weiteren kantonalen Hürden für die bewilligungsfreie Sonntagsarbeit vorgesehen waren.
  3. Schlussfolgerung zur Bundesrechtswidrigkeit: Art. 18A LHOM/GE verletzt mit der GAV-Bedingung den Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV), indem er in die ausschliessliche Bundeskompetenz des Arbeitnehmerschutzes eingreift. Der Entscheid der Cour de justice, der die bewilligungsfreie Sonntagsarbeit aufgrund dieser bundesrechtswidrigen kantonalen Bedingung verneinte, verstösst somit ebenfalls gegen Art. 49 BV.

Entscheid des Bundesgerichts

Der Rekurs wird gutgeheissen. Das Urteil der Cour de justice vom 28. November 2024 wird aufgehoben und der Entscheid des Office cantonal vom 4. Oktober 2024 (dass am 22. Dezember 2024 Personal ohne Bewilligung beschäftigt werden durfte) wird bestätigt.

Das Bundesgericht hält fest, dass es dem kantonalen Gesetzgeber obliegt, die Situation zu klären, entweder durch eine Anpassung von Art. 18A LHOM/GE, um diesen bundesrechtskonform zu machen, oder durch dessen Aufhebung, was bedeuten würde, dass die Möglichkeit der bewilligungsfreien Sonntagsarbeit (ausser am 31. Dezember gemäss Art. 18 LHOM/GE) entfiele.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
  • Kernfrage: Ist die genferkantonale Regelung, welche die bewilligungsfreie Sonntagsarbeit an die Existenz eines allgemeinverbindlichen GAV knüpft, mit dem Bundesrecht vereinbar?
  • Bundesrecht: Art. 19 Abs. 6 ArG erlaubt den Kantonen, bis zu vier Sonntage pro Jahr für bewilligungsfreie Personalbeschäftigung in Geschäften festzulegen, ohne dass ein "dringendes Bedürfnis" nachgewiesen werden muss. Der Arbeitnehmerschutz ist im ArG abschliessend geregelt.
  • Kantonales Recht: Art. 18A LHOM/GE setzt die Nutzung dieser bundesrechtlichen Möglichkeit an die Bedingung eines allgemeinverbindlichen GAV im Genfer Detailhandel.
  • Bundesgerichtsentscheid: Das Bundesgericht hiess den Rekurs der Arbeitgeberverbände gut. Es stellte fest, dass die GAV-Bedingung in Art. 18A LHOM/GE eine Massnahme des Arbeitnehmerschutzes darstellt und somit in die ausschliessliche Kompetenz des Bundes eingreift.
  • Begründung: Die kantonale Bestimmung verstösst gegen den Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV), da kantonale Ladenöffnungszeiten nur der öffentlichen Ruhe dienen dürfen, nicht aber dem Arbeitnehmerschutz. Der Bundesgesetzgeber hat eine solche Bedingung für die Sonntagsarbeit explizit abgelehnt, um eine einheitliche Regelung zu gewährleisten.
  • Konsequenz: Der Entscheid der Cour de justice, der die bewilligungsfreie Sonntagsarbeit wegen des fehlenden GAV verneinte, wurde aufgehoben. Die bewilligungsfreie Sonntagsarbeit am 22. Dezember 2024 wurde bestätigt. Dem Genfer Gesetzgeber obliegt es, Art. 18A LHOM/GE bundesrechtskonform anzupassen.