Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_1294/2023 vom 23. Oktober 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Bundesgericht, Urteil vom 23. Oktober 2025 (6B_1294/2023)

I. Parteien und Gegenstand Der Beschwerdeführer A.__ wandte sich gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 26. September 2023, welches ihn wegen vorsätzlicher Tötung, Raubes und Irreführung der Rechtspflege verurteilte und die erstinstanzliche Freiheitsstrafe von zehn Jahren sowie eine bedingte Geldstrafe bestätigte. Der Beschwerdeführer beantragte Freisprüche von den Vorwürfen der vorsätzlichen Tötung und des Raubes, eventuell eine Rückweisung zur Sachverhaltsfeststellung, eine mildere Strafe sowie Entschädigung und Kostenübernahme.

II. Verwertbarkeit der Ergebnisse der verdeckten Ermittlung (E. 1)

Die zentrale Beweisfrage betraf die Verwertbarkeit der im Rahmen einer verdeckten Ermittlung gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere des Amtsberichts Nr. 54.

1. Kontext der verdeckten Ermittlung: Die Staatsanwaltschaft Solothurn ordnete zwischen Mai 2018 und Februar 2020 den Einsatz von drei verdeckten Ermittlern zur Aufklärung der Tötung von B._ an. Die Ermittlungen wurden vom Haftgericht genehmigt und verlängert. Die Ermittler, die sich als "C._", "D._" und "E._" ausgaben, mieteten eine Wohnung, in der sie ein "Atelier" einrichteten. Der Beschwerdeführer, der in der Nähe wohnte, kümmerte sich gegen Entgelt um kleinere Arbeiten in dieser Wohnung. Die Ermittler gaben vor, Geschichten für ein Buch zu sammeln oder ihre eigene Lebensgeschichte zu verarbeiten.

2. Inhalt des massgeblichen Amtsberichts Nr. 54: Dieser Bericht vom 16. Januar 2020, verfasst von "E._", protokollierte ein Gespräch mit dem Beschwerdeführer. Darin schilderte der Beschwerdeführer, wie es in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober 2015 bei B._ zu einem Streit gekommen sei. Das Opfer habe ein "Geldschuldenbüchlein" hervorgeholt und 12'000 Franken gefordert, sei dann mit einem Messer auf ihn losgegangen. Er habe dem Opfer einen Fusstritt versetzt, worauf dieses über einen Stuhl gestolpert und auf einen Tisch gefallen sei, wobei der Tisch zerbrochen sei. Der Beschwerdeführer habe hinzugefügt: "Jaja, ich eben auch, ich eben auch" (auf die Aussage des Ermittlers, er habe "den Typen kaputt gemacht"). Er bezeichnete das Opfer als "verdammten Drecksjugo" und erwähnte dessen Drogenhandel. Er habe anschliessend die vier Mobiltelefone des Opfers, dessen Schlüsselbund, die Bauchtasche mit dem "Schuldenbüchlein" und der "Drogenbüchse" sowie das Tatwerkzeug mitgenommen und die Wohnung von aussen abgeschlossen. Er habe der Polizei gesagt, dass das Opfer noch gelebt habe und es an einem Blutgerinnsel gestorben sei, was ihm aber egal sei, da das Opfer es verdient habe. Er habe sich auch überlegt, dies alles "Herrn D.__" zu erzählen.

3. Rüge der Verletzung des Selbstbelastungsprivilegs (E. 1.5): Der Beschwerdeführer rügte, die verdeckten Ermittler hätten sein Selbstbelastungsprivileg (Art. 113 Abs. 1 StPO und Art. 6 EMRK) durch eine "einvernahmeähnliche Situation" umgangen und ein Vertrauensverhältnis ausgenutzt. Das Bundesgericht prüfte die Grenzen der verdeckten Ermittlung. Es hielt fest, dass zwar das Täuschungsverbot (Art. 140 Abs. 1 StPO) bei verdeckten Ermittlungen relativiert sei, andere Garantien aber Geltung behielten. Eine Umgehung liege vor, wenn systematisch oder hartnäckig in vernehmungsähnlicher Weise Fragen gestellt werden, die den Beschuldigten zur Aussage drängen, insbesondere wenn dieser zuvor sein Aussageverweigerungsrecht geltend gemacht hat. Keine Umgehung sei es hingegen, wenn der Beschuldigte Äusserungen aus eigener Initiative tätigt. Im vorliegenden Fall verneinte das Bundesgericht eine solche Umgehung. Es stellte fest, dass der Beschwerdeführer das Gespräch weitgehend eigenständig fortführte und viele Aussagen aus eigener Initiative machte. Die Fragen des Ermittlers, einschliesslich der suggestiv anmutenden Frage "er doch sicher nicht wie ich", gingen nicht über ein normales Gesprächsverhalten hinaus und begründeten keine Drucksituation, die eine Umgehung darstellt. Es habe dem Beschwerdeführer freigestanden, das Gespräch jederzeit abzubrechen. Auch ein die Willensfreiheit beeinflussendes, relevantes Vertrauensverhältnis sei nicht ersichtlich gewesen.

4. Rüge der Beeinträchtigung der Denkfähigkeit durch Alkohol (E. 1.6): Der Beschwerdeführer machte geltend, er sei am Tag des "Geständnisses" betrunken gewesen, was seine Willensfreiheit erheblich eingeschränkt habe und die Aussagen gemäss Art. 140 Abs. 1 StPO unverwertbar mache. Das Bundesgericht bekräftigte, dass Alkohol ein Mittel sei, das die Denkfähigkeit oder Willensfreiheit beeinträchtigen kann und zur Unverwertbarkeit führen kann, unabhängig von der Freiwilligkeit des Konsums. Entscheidend sei jedoch, ob die Person im Zeitpunkt der Befragung trotz Alkoholkonsums "vernehmungsfähig" war, d.h. den Sachverhalt erfassen und die Tragweite der Äusserungen erkennen konnte. Die Vorinstanz habe willkürfrei festgestellt, dass der Beschwerdeführer lediglich "etwas beschwipst" war und seine protokollierten Aussagen strukturiert, zusammenhängend und kontextbezogen gewesen seien. Es gebe keine Hinweise auf eine massgebliche Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten oder eine gezielte Ausnutzung der Alkoholisierung durch die Ermittler. Eine Täuschung einer vernehmungsfähigen Person durch verdeckte Ermittler führe an sich nicht zur Unverwertbarkeit.

5. Schlussfolgerung zur Verwertbarkeit: Der Amtsbericht Nr. 54 aus der verdeckten Ermittlung wurde vom Bundesgericht als verwertbar erachtet.

III. Schuldspruch wegen vorsätzlicher Tötung (E. 2-3)

1. Willkürliche Sachverhaltsfeststellung und "in dubio pro reo" (E. 2): Der Beschwerdeführer rügte eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" hinsichtlich der Tötung. Das Bundesgericht hielt fest, dass es den Sachverhalt der Vorinstanz zugrunde legt (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder willkürlich (Art. 97 Abs. 1 BGG). Willkür liege vor, wenn die Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar sei. Ein Indizienbeweis sei zulässig, wobei eine Mehrzahl von Indizien in ihrer Gesamtheit einen rechtsgenügenden Beweis erbringen könne. Die Vorinstanz hatte gestützt auf die Aussagen des Beschwerdeführers gegenüber dem verdeckten Ermittler (Amtsbericht Nr. 54), dessen widersprüchliches Verhalten, Aussagen Dritter, den Tatortbefund, das rechtsmedizinische Gutachten und weitere Indizien den Sachverhalt rekonstruiert: Der Beschwerdeführer habe sich in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober 2015 in der Wohnung des Opfers aufgehalten. Nach einem Streit über Schulden sei das Opfer mit einem Messer auf ihn losgegangen. Der körperlich überlegene Beschwerdeführer habe dem Opfer einen Tritt versetzt, wodurch dieses zu Boden stürzte. Anschliessend habe der Beschwerdeführer mit einem stumpfen Gegenstand mindestens fünf- bis sechsmal auf den Vorderkopf des wehrlosen Opfers eingeschlagen und ihm die tödlichen Verletzungen zugefügt. Danach habe er die Mobiltelefone des Opfers, dessen Schlüsselbund, das "Schuldenbüchlein" und die "Drogenbüchse" sowie das Tatwerkzeug mitgenommen und die Wohnung abgeschlossen. Das Bundesgericht prüfte die Rügen des Beschwerdeführers: * Beweiswert der Amtsberichte: Die Vorinstanz habe die Richtigkeit der Amtsberichte schlüssig bejaht. Die Aussagen des Beschwerdeführers enthielten "Täterwissen" über Details (vier fehlende Mobiltelefone, Kopfverletzungen, kaputter Tisch, verschlossene Tür), die der Öffentlichkeit und selbst dem Ermittler nicht bekannt waren. Die Abweichung der Vorinstanz von der "beschönigten" Version des Beschwerdeführers in Amtsbericht 54 und die Annahme einer Tötung wurden als nachvollziehbar erachtet. * Todeszeitpunkt: Die Vorinstanz hatte den Todeszeitpunkt auf die Nacht vom 16. auf den 17. Oktober 2015 festgelegt, gestützt auf die Aussagen eines Zeugen (L.__), das abrupte Ende jeglicher telefonischer Kontakte, fehlende Bankeinzahlungen und Termine des Opfers sowie die älteste Post im Briefkasten. Das rechtsmedizinische Gutachten hatte keine exakte Bestimmung erlaubt. Die Vorinstanz hatte die Aussagen eines Optikers, die für einen späteren Todeszeitpunkt sprachen, als unzuverlässig bewertet. Das Bundesgericht befand diese Beweiswürdigung als nicht willkürlich. * Postkarte: Eine im Briefkasten des Opfers gefundene Postkarte, mit der sich der Beschwerdeführer nach dem Befinden des Opfers erkundigte, wurde als Indiz gewertet. Die Vorinstanz ging davon aus, dass der Beschwerdeführer sie geschrieben hatte, um ein Alibi zu schaffen, wobei er seine Schrift verstellte. Das Bundesgericht erachtete dies angesichts der sonst regen telefonischen Kommunikation als nicht willkürlich. * Weitere Rügen: Weitere Sachverhaltsrügen des Beschwerdeführers (z.B. andere mögliche Täter, fehlende Spuren, nicht gefundene Tatwaffe) wurden als ungenügend begründet oder als blosse Spekulationen zurückgewiesen.

2. Rechtliche Würdigung der vorsätzlichen Tötung (Notwehr) (E. 3): Der Beschwerdeführer machte geltend, in Notwehr gehandelt und deren Grenzen nicht überschritten zu haben. Das Bundesgericht wies diese Rüge ab, da der Beschwerdeführer sich auf seine eigene Sachverhaltsdarstellung stützte, die von dem für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Sachverhalt der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 BGG) abwich. Nach den Feststellungen der Vorinstanz erfolgten die tödlichen Schläge auf das wehrlose Opfer, nachdem ein Angriff des Opfers eindeutig nicht mehr vorgelegen hatte.

IV. Schuldspruch wegen Raubes (E. 4-5)

1. Willkürliche Sachverhaltsfeststellung (E. 4): Der Beschwerdeführer rügte eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung bezüglich des Raubes. Die Vorinstanz hatte festgestellt, der Beschwerdeführer habe der Geschädigten am 23. September 2017 zwei Geldscheine entrissen. Als die Geschädigte ihn verfolgte und packte, habe er sie gestossen und ein Springmesser mit einer 12,5 cm langen Klinge drohend gegen sie gehalten, Stichbewegungen ausgeführt und geschrien. Das Bundesgericht befand die Beweiswürdigung der Vorinstanz, welche sich massgeblich auf die glaubhaften Aussagen der Geschädigten und Videoaufnahmen stützte und die weniger detaillierten Aussagen eines Zeugen (M.__) anders gewichtete, als nicht willkürlich.

2. Rechtliche Würdigung (Entreissdiebstahl vs. Raub) (E. 5): Der Beschwerdeführer argumentierte, seine Tat sei lediglich als "Entreissdiebstahl" (Art. 139 Ziff. 1 StGB) und nicht als Raub (Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) zu qualifizieren und sei verjährt. Auch diese Rüge wies das Bundesgericht ab, da sie sich auf eine vom verbindlichen Sachverhalt der Vorinstanz abweichende Darstellung stützte. Die Vorinstanz hatte aufgrund des Messereinsatzes die Qualifikation als Raub bejaht.

V. Irreführung der Rechtspflege (E. 6)

Der Beschwerdeführer akzeptierte den Schuldspruch, beantragte jedoch, von einer Bestrafung gemäss Art. 304 aZiff. 2 StGB (altes Recht für "besonders leichte Fälle") abzusehen. Er führte ein leichtes Verschulden, sofortiges Geständnis, Reue und den Einfluss von Alkohol/Medikamenten an. Das Bundesgericht stellte fest, dass Art. 304 aZiff. 2 StGB zwar per 1. Juli 2023 aufgehoben wurde, aber aufgrund des Prinzips der "lex mitior" (Art. 2 Abs. 2 StGB) in diesem Fall zur Anwendung gelangte, da das alte Recht milder war. Die Vorinstanz hatte jedoch ein "leichtes Verschulden" angenommen, aber keinen "besonders leichten Fall" bejaht, was eine Strafzumessung rechtfertigte. Das Bundesgericht befand die Begründung der Vorinstanz als überzeugend und die Verneinung eines besonders leichten Falles als nicht zu beanstanden.

VI. Nebenforderungen (E. 7-8)

Die Anträge des Beschwerdeführers auf Entschädigung für Untersuchungshaft und auf Übernahme der Verfahrenskosten sowie Parteientschädigung wurden abgewiesen, da sie ausschliesslich auf der Gutheissung der Beschwerde beruhten, welche abgewiesen wurde.

VII. Kosten (E. 9)

Die Beschwerde wurde abgewiesen, soweit darauf einzutreten war. Der Beschwerdeführer wurde kostenpflichtig. Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wurde abgewiesen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war. Die Gerichtsgebühr wurde seiner finanziellen Lage entsprechend reduziert.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen vorsätzlicher Tötung, Raubes und Irreführung der Rechtspflege. 1. Verwertbarkeit der verdeckten Ermittlung: Die im Amtsbericht Nr. 54 dokumentierten, selbstbelastenden Aussagen des Beschwerdeführers gegenüber einem verdeckten Ermittler wurden als verwertbar erachtet. Weder wurde das Selbstbelastungsprivileg durch eine einvernahmeähnliche Situation umgangen, noch waren die Aussagen aufgrund von Alkoholisierung unvernehmungsfähig im Sinne von Art. 140 Abs. 1 StPO. 2. Vorsätzliche Tötung: Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz, wonach der Beschwerdeführer das Opfer nach einem Streit über Schulden, als dieses bereits wehrlos am Boden lag, durch Schläge auf den Kopf getötet hatte, wurde als nicht willkürlich bestätigt. Massgebliche Indizien waren das "Täterwissen" des Beschwerdeführers (z.B. über fehlende Handys), der festgesetzte Todeszeitpunkt und sein abruptes Abbrechen des Kontakts zum Opfer. Eine Notwehrhandlung wurde aufgrund der festgestellten Fakten verneint. 3. Raub: Die Verurteilung wegen Raubes (und nicht des geringer qualifizierten Entreissdiebstahls) wurde ebenfalls bestätigt. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz, wonach der Beschwerdeführer die Geschädigte nach dem Entwenden von Geld mit einem Springmesser bedrohte, war nicht willkürlich. 4. Irreführung der Rechtspflege: Obwohl das Bundesgericht das Anwendbarkeitsprinzip der "lex mitior" (Art. 2 Abs. 2 StGB) zugunsten des Beschwerdeführers bejahte (altes Recht Art. 304 aZiff. 2 StGB), wurde das Absehen von einer Bestrafung im konkreten Fall verneint, da die Vorinstanz keinen "besonders leichten Fall" erkannte.

Die Beschwerde wurde abgewiesen und das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten abgelehnt.