Zusammenfassung von BGer-Urteil 5A_423/2025 vom 6. November 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 5A_423/2025 vom 6. November 2025

Parteien: * Rekurrentinnen: 1. A._ SA, 2. B._ Ltd (gemeinsam vertreten) * Intimée: C.__ SA

Gegenstand: Opposition gegen den Arrest (Art. 278 Abs. 3 SchKG i.V.m. Art. 272 Abs. 1 Ziff. 3 SchKG), insbesondere die Frage der Zurechnung von Vermögenswerten einer Tochtergesellschaft (A._ SA) zur Muttergesellschaft (B._ Ltd) mittels des Transparenzprinzips (umgekehrter Durchgriff).

Sachverhalt und Vorinstanzen:

  1. Grundlage der Forderung: Die Intimée C._ SA verkaufte 65'000 Tonnen Mais an E._. Die Rekurrentin B._ Ltd (als Teil der "I._ Gruppe") garantierte der C._ SA am 10. Oktober 2023 unwiderruflich und bedingungslos als Hauptschuldnerin für die Zahlungspflichten der E._. F._, der als Generaldirektor und Hauptaktionär der B._ Ltd sowie als Direktor der A._ SA fungierte, unterzeichnete den Garantievertrag für B._ Ltd.
  2. Zahlungsverzug und Interventionsversuche: E._ kam ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nach. C._ SA forderte B._ Ltd zur Leistung aus der Garantie auf. In der Folge kam es zu zahlreichen Kommunikationen zwischen C._ SA (vertreten durch D._) und F._ sowie J._ (Finanzdirektor der I._ Gruppe). Dabei wurde von C._ SA eine Rechnung über 16.3 Mio. USD an A.__ SA ausgestellt, und A._ SA veranlasste eine Zahlung von 8.3 Mio. USD an C._ SA, welche jedoch aufgrund von Sanktionsbedenken (OFAC) blockiert wurde. Die Kommunikation der Vertreter der I._ Gruppe erfolgte mittels generischer E-Mail-Adressen (@...) und legte keine klare Trennung zwischen den Gesellschaften B._ Ltd und A._ SA offen. F._ und J._ behandelten die von A.__ SA zu transferierenden Gelder als "Gruppenvermögen".
  3. Arrestverfahren: C._ SA beantragte den Arrest von Vermögenswerten der B._ Ltd, insbesondere eines Bankkontos, das formell auf A._ SA lautete. Die Begründung stützte sich darauf, dass B._ Ltd und A.__ SA eine wirtschaftliche Einheit bildeten. Das Tribunal de première instance und die Cour de justice des Kantons Genf bestätigten den Arrest und wiesen die Opposition der Rekurrentinnen ab.

Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts:

  1. Kognition des Bundesgerichts (E. 2):

    • Bei Entscheiden über Arrestoppositionen handelt es sich um vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG. Das Bundesgericht prüft solche Rügen nur auf die Verletzung verfassungsmässiger Rechte (Art. 106 Abs. 2 BGG). Eine qualifizierte Rügepflicht ist hierfür erforderlich.
    • Eine Entscheidung ist nur willkürlich (Art. 9 BV), wenn sie offensichtlich unhaltbar ist, eine klare Rechtsnorm grob missachtet oder das Gerechtigkeits- und Billigkeitsempfinden stossend verletzt. Es genügt nicht, dass eine andere Lösung denkbar oder sogar vorzuziehen wäre; das Ergebnis muss willkürlich sein.
    • Die Sachverhaltsfeststellung durch das Bundesgericht erfolgt grundsätzlich auf Basis der vorinstanzlichen Feststellungen (Art. 105 Abs. 1 BGG). Willkür in der Beweiswürdigung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz ohne ernsthaften Grund ein entscheidendes Beweismittel nicht berücksichtigt, dessen Sinn und Tragweite offensichtlich verkennt oder unhaltbare Schlüsse daraus zieht.
    • Im vorliegenden Fall hatte die Vorinstanz (Cour de justice) bereits über einen Rekurs entschieden, dessen Kognition auf die Prüfung von Willkür beschränkt war (Art. 320 lit. b ZPO). Das Bundesgericht prüft in diesem Kontext frei, ob die Vorinstanz ihre eingeschränkte Kognition korrekt angewendet hat (sog. "Willkür im Quadrat"). Die Rüge der Rekurrentinnen muss daher nicht nur die willkürliche Ablehnung oder Bejahung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung durch die Vorinstanz betreffen, sondern auch die Erwägungen der ersten Instanz direkt angreifen.
  2. Zulässigkeit neuer Beweismittel (Pseudo-Nova) (E. 3.2):

    • Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzliche Ablehnung der von den Rekurrentinnen in zweiter Instanz vorgelegten "Pseudo-Nova" (neue Tatsachen und Beweismittel, die bereits vor dem erstinstanzlichen Entscheid existierten).
    • Gemäss Art. 317 Abs. 1 ZPO (analog angewendet) können Pseudo-Nova nur berücksichtigt werden, wenn sie unverzüglich vorgebracht wurden und trotz gebotener Sorgfalt nicht bereits vor erster Instanz geltend gemacht werden konnten.
    • Die Rekurrentinnen machten geltend, die Relevanz der Beweismittel sei erst durch das erstinstanzliche Urteil ersichtlich geworden. Das Bundesgericht wies dies als unsubstantiiert zurück. Die Frage der Gründe für die Zahlung von A.__ SA sei von der Intimée bereits in erster Instanz aufgeworfen worden; es sei nicht unerwartet gewesen, dass das Gericht diese Frage prüfen würde. Somit hätten die Beweismittel bereits in erster Instanz vorgebracht werden müssen.
  3. Willkürliche Sachverhaltsfeststellung (E. 3.3):

    • Die Rügen der Rekurrentinnen bezüglich willkürlicher Sachverhaltsfeststellungen (z.B. Gültigkeit des Garantievertrags, Rolle von F._ bei A._ SA, Gründe für die Zahlung von 8 Mio. USD) wurden als unzulässig erachtet.
    • Das Bundesgericht stellte fest, dass die Rekurrentinnen diese spezifischen Willkürrügen nicht bereits im kantonalen Rekursverfahren formuliert hatten. Bezüglich der Zahlung von 8 Mio. USD stützten sie sich zudem auf unzulässige Beweismittel.
  4. Anwendung des Transparenzprinzips (Umgekehrter Durchgriff) (E. 3.4):

    • Grundsatz: Die rechtliche Autonomie juristischer Personen ist zu respektieren. Eine Zurechnung von Vermögenswerten einer rechtlich selbständigen Einheit zum Schuldner (Durchgriff) ist nur ausnahmsweise zulässig. Dies erfordert, dass die juristische Person von einer Person kontrolliert wird (wirtschaftliche Interessen sind identisch) und die rechtliche Unabhängigkeit der juristischen Person missbräuchlich geltend gemacht wird, um einen ungerechtfertigten Vorteil zu erzielen, insbesondere um sich der Zwangsvollstreckung zu entziehen. Ein Rechtsmissbrauch erfordert eine "Anhäufung von verschiedenen und aussergewöhnlichen Verhaltensweisen, die eine Machenschaft bilden", und einen qualifizierten Drittschaden (BGE 144 III 541 E. 8.3.2).
    • Umgekehrter Durchgriff ("transparence inversée"): Im vorliegenden Fall handelte es sich um einen umgekehrten Durchgriff, d.h. die Haftung der beherrschten Gesellschaft (A._ SA) für die Schulden des Gesellschafters (B._ Ltd). Hierfür ist eine besondere Zurückhaltung geboten, da das Gesellschaftsvermögen primär den Gläubigern der Gesellschaft dienen soll (BGE 145 III 351 E. 4.3.2). Ein typischer Anwendungsfall ist, wenn ein Schuldner seine Vermögenswerte missbräuchlich an eine von ihm kontrollierte Gesellschaft überträgt, um sie dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen.
    • Würdigung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht verwies im Wesentlichen auf die detaillierten und korrekten Ausführungen der Vorinstanz zur Rechtslage und wies die Rügen der Rekurrentinnen als unsubstantiiert und appellatorisch zurück. Die Rekurrentinnen hätten die Gesamtheit der von der Vorinstanz berücksichtigten Elemente ausser Acht gelassen.
    • Bestätigte Argumente der Vorinstanz für den Durchgriff:
      • Wirtschaftliche Dominanz und Interessenidentität: B._ Ltd als Holdinggesellschaft hielt 100% der Aktien von A._ SA. F._ war die zentrale Figur, der beide Gesellschaften und die gesamte "I._ Gruppe" leitete und kontrollierte.
      • Verwechslung der Strukturen und Vermögensvermischung: F._ und J._ nutzten in der Kommunikation E-Mail-Adressen, die eine klare Trennung der Gesellschaften erschwerten. Die E-Mail von E._ an das "I._ team" deutete ebenfalls auf eine Verwechslung der Entitäten hin. Insbesondere F._ und J._ betrachteten die von A._ SA zu transferierenden Gelder als "Gruppenvermögen" und nicht als spezifisches Vermögen von A._ SA.
      • Intervention von A.__ SA ohne eigenes wirtschaftliches Interesse: A._ SA, die nicht Partei des Garantievertrags war, intervenierte bei der Ausführung der Garantie durch die Anweisung einer Zahlung. Die von den Rekurrentinnen vorgebrachten Gründe für diese Zahlung (Begleichung einer Schuld gegenüber E._) wurden als unwahrscheinlich erachtet.
      • Rechtsmissbräuchliche Geltendmachung der Unabhängigkeit: Die rechtliche Unabhängigkeit von A._ SA erschien als "Fassade". Die bewusste Verwechslung der Gesellschaftsstrukturen gegenüber C._ SA führte zur Annahme, dass die Rekurrentinnen die Unabhängigkeit von A.__ SA missbräuchlich geltend machten, um die Vermögenswerte dem Arrest zu entziehen.
    • Das Bundesgericht bekräftigte, dass BGE 145 III 351 die strengen Bedingungen für das Transparenzprinzip (BGE 144 III 541) nicht in Frage stellte, sondern sich darauf bezog. Die Argumente der Rekurrentinnen, dass die Vorinstanz nicht genügend Zurückhaltung gezeigt habe, waren rein theoretischer und abstrakter Natur und entkräfteten die vorinstanzlichen Feststellungen nicht.

Fazit des Bundesgerichts:

Das Bundesgericht wies den Rekurs der Rekurrentinnen, soweit darauf einzutreten war, ab. Die Gerichtskosten wurden den Rekurrentinnen auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte den Arrest von Vermögenswerten, die formell einer Tochtergesellschaft (A._ SA) gehörten, für die Schulden der Muttergesellschaft (B._ Ltd) aus einem Garantievertrag. Es bejahte die Anwendung des Transparenzprinzips (umgekehrter Durchgriff), da eine wirtschaftliche Einheit und Interessenidentität zwischen den Gesellschaften bestand, die Muttergesellschaft die Tochtergesellschaft dominierte, die Gesellschaftsstrukturen und Vermögen bewusst vermischt wurden und die rechtliche Unabhängigkeit der Tochtergesellschaft missbräuchlich geltend gemacht wurde, um Vermögenswerte dem Zugriff der Gläubigerin zu entziehen. Die Rügen der Rekurrentinnen bezüglich der Unzulässigkeit neuer Beweismittel und der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung wurden zurückgewiesen bzw. als unzulässig erklärt. Die Anwendung des Durchgriffsprinzips durch die Vorinstanz wurde vom Bundesgericht als nicht willkürlich erachtet, insbesondere unter Verweis auf die detaillierte Begründung der Vorinstanz hinsichtlich der bewussten Verwechslung der Unternehmensstrukturen und des Fehlens eines eigenen wirtschaftlichen Interesses der Tochtergesellschaft bei der fraglichen Zahlung.