Zusammenfassung von BGer-Urteil 4A_279/2025 vom 20. Oktober 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 4A_279/2025 vom 20. Oktober 2025

1. Einleitung und Sachverhalt

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts befasst sich mit der Frage der Gewährung von Prozesskostenhilfe (unentgeltliche Rechtspflege) an eine juristische Person, namentlich die A._ SA (nachfolgend: die Gesuchstellerin oder Beschwerdeführerin). Die Gesuchstellerin, deren Zweck die Kultur, der An- und Verkauf sowie die Vermarktung von agro-industriellem Hanf ist, hat am 5. Januar 2025 eine Klage in Höhe von CHF 3'804'133.20 gegen den Anwalt B._ (nachfolgend: der Beschwerdegegner oder Intimé) beim Zivilgericht des Saanebezirks eingereicht. Sie wirft dem Anwalt vor, schuldhaft Entschädigungsansprüche gegen den Kanton Freiburg verjähren lassen zu haben, die ihr aus einem Strafverfahren gegen ihren Alleinaktionär und Geschäftsführer, C.__, wegen Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz zugestanden hätten. Tags darauf beantragte die Gesuchstellerin die Gewährung der Prozesskostenhilfe lediglich für die Gerichtskosten, nachdem ihr ein Kostenvorschuss von CHF 75'000.- auferlegt worden war.

Das Zivilgericht lehnte den Antrag ab, da die Gesuchstellerin nicht ihre Mittellosigkeit und jene ihrer wirtschaftlich Berechtigten nachgewiesen habe. Es verwies auf einen im Bilanz per 30. September 2024 ausgewiesenen Aktionärsdarlehen von CHF 30'000.- und nicht unerhebliche direkte Einkünfte des Aktionärs im Jahr 2022 sowie den Besitz einer Immobilie. Die I. Zivilappellationskammer des Kantonsgerichts Freiburg bestätigte diesen Entscheid am 8. März 2025. Sie führte aus, dass die Gesuchstellerin neben dem streitigen Betrag von CHF 3'804'133.20 über einen weiteren Aktivposten von CHF 30'000.- in Form des Darlehens an ihren Aktionär verfüge. Dies genüge, um die Gewährung der Prozesskostenhilfe auszuschliessen, da der streitige Betrag somit nicht der einzige Aktivposten der Gesellschaft sei.

2. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

Die Beschwerdeführerin rügt vor Bundesgericht eine Verletzung von Art. 117 ZPO und einen übertriebenen Formalismus. Das Bundesgericht greift diese Rüge auf und legt seine Argumentation wie folgt dar:

2.1. Grundsätze der Prozesskostenhilfe und deren Anwendung auf juristische Personen (E. 5.1)

  • Verfassungsrechtliche und Zivilprozessuale Grundlagen: Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 117 ff. ZPO hat jede Person Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und ihre Sache nicht aussichtslos erscheint. Die Voraussetzungen der ZPO entsprechen dabei den verfassungsrechtlichen Mindestgarantien.
  • Grundsatz bei juristischen Personen: Die Rechtsprechung lehnt die Gewährung von Prozesskostenhilfe an juristische Personen grundsätzlich ab (BGE 131 II 306 E. 5.2; 126 V 42 E. 4; 119 Ia 337 E. 4b). Dies wird damit begründet, dass die Prozesskostenhilfe Ausdruck der sozialen Solidarität gegenüber natürlichen Personen ist, die ohne diese Hilfe ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten könnten. Juristische Personen hingegen seien bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung lediglich dem Konkurs ausgesetzt.
  • Restriktive Ausnahmeregelung: Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat jedoch, gestützt auf divergierende Lehrmeinungen, die Gewährung von Prozesskostenhilfe an juristische Personen unter restriktiven Bedingungen nicht gänzlich ausgeschlossen. Diese Voraussetzungen sind kumulativ zu erfüllen:
    1. Der einzige (oder wesentlichste) Aktivposten der juristischen Person ist Gegenstand des Gerichtsverfahrens.
    2. Die natürlichen Personen, die als wirtschaftlich Berechtigte hinter der juristischen Person stehen, sind mittellos.
    3. Das Verfahren, für das die Prozesskostenhilfe beantragt wird, muss das Überleben der juristischen Person sichern. (Vgl. BGE 143 I 328 E. 3.3 und die dort zitierten Referenzen; Urteile 4A_372/2018 vom 30. Juli 2018 E. 2.2; 2D_41/2018 vom 8. Januar 2019 E. 3.5).

2.2. Rüge des übertriebenen Formalismus (E. 5.2 - 5.4)

  • Kritik der Beschwerdeführerin: Die Beschwerdeführerin hält die Herangehensweise des Kantonsgerichts für zu restriktiv. Die Vorinstanz habe die Prozesskostenhilfe allein mit dem Hinweis auf den Aktionärsdarlehen von CHF 30'000.- als "weiteren Aktivposten" neben dem streitigen Betrag von ca. CHF 3.8 Mio. ausgeschlossen. Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass die Klageforderung 99.22% ihrer Aktiven ausmache, während die CHF 30'000.- lediglich 0.78% darstellten. Eine derart buchstabengetreue Auslegung der Rechtsprechung sei übertrieben formalistisch und stelle eine unzulässige Einschränkung des Zugangs zum Gericht dar.
  • Definition des übertriebenen Formalismus (E. 5.3): Das Bundesgericht präzisiert, dass ein übertriebener Formalismus, der eine formelle Rechtsverweigerung gemäss Art. 29 Abs. 1 BV darstellt, dann vorliegt, wenn die strikte Anwendung von Verfahrensvorschriften durch kein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt ist, zu einem Selbstzweck wird, die Verwirklichung des materiellen Rechts unzumutbar erschwert oder den Zugang zu den Gerichten in unzulässiger Weise behindert (BGE 145 I 201 E. 4.2.1; 142 IV 299 E. 1.3.2; 142 I 10 E. 2.4.2; 135 I 6 E. 2.1).
  • Anwendung auf den vorliegenden Fall (E. 5.4): Das Bundesgericht gibt der Beschwerdeführerin Recht. Es stellt fest, dass der streitige Betrag von rund CHF 4 Mio. tatsächlich den wesentlichen Teil (über 99%) der Aktiven der Gesellschaft ausmacht. In dieser Konstellation blockiere der Ansatz des Kantonsgerichts den Zugang zum Gericht auf unzulässige Weise, da der verbleibende Aktivposten von CHF 30'000.- einen infinitesimalen Anteil darstelle und nicht einmal den geforderten Kostenvorschuss von CHF 75'000.- decke. Der Einwand des übertriebenen Formalismus ist demnach begründet.
  • Fehlerhafte Prüfung der Mittellosigkeit der wirtschaftlich Berechtigten: Das Bundesgericht hebt zusätzlich hervor, dass der Aktivposten von CHF 30'000.- ein Darlehen des wirtschaftlich Berechtigten (Aktionär) an die Gesellschaft darstellt. Gemäss der Rechtsprechung ist jedoch die Solvenz der wirtschaftlich Berechtigten (hier des Aktionärs) ein entscheidendes Kriterium für die Gewährung der Prozesskostenhilfe an juristische Personen. Die erste Instanz hatte die Mittellosigkeit der Gesellschaft und ihres Aktionärs nicht anerkannt, was die Beschwerdeführerin in ihrer kantonalen Beschwerde gerügt hatte. Das Kantonsgericht hat die Frage der Solvenz des Aktionärs jedoch nicht geprüft. Da das Bundesgericht in dieser Frage nicht selbst entscheiden kann, muss die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen werden, damit diese die Mittellosigkeit des Aktionärs prüft.

3. Entscheid

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache zur neuen Entscheidung an die kantonale Instanz zurück.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Grundsätzliche Ablehnung: Juristischen Personen wird Prozesskostenhilfe grundsätzlich nicht gewährt, da diese der sozialen Solidarität für natürliche Personen dient.
  • Restriktive Ausnahmen: Eine Ausnahme ist nur unter sehr engen Bedingungen möglich, u.a. wenn der streitige Betrag den einzigen oder wesentlichsten Aktivposten darstellt und die wirtschaftlich Berechtigten mittellos sind.
  • Umfang des Aktivpostens: Das Bundesgericht bejahte im vorliegenden Fall einen übertriebenen Formalismus des Kantonsgerichts. Wenn der streitige Betrag über 99% der Gesamtaktiven ausmacht, darf ein geringer Restbetrag (hier 0.78%) nicht dazu führen, die Prozesskostenhilfe zu verweigern, da dies den Zugang zum Gericht unzulässigerweise behindert.
  • Prüfpflicht der Mittellosigkeit der Aktionäre: Das Kantonsgericht hatte zudem die Mittellosigkeit des wirtschaftlich Berechtigten (des Aktionärs, der der Gesellschaft ein Darlehen gewährt hatte) nicht geprüft, obwohl dies eine zwingende Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe an juristische Personen ist.
  • Rückweisung: Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit diese die Mittellosigkeit des Aktionärs der Gesuchstellerin prüft.